Premierengeflüster #10

Die gebürtige Lübeckerin Kerstin Westphal, studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und gehört seit der Spielzeit 2016/2017 zum festen Ensemble der Niederdeutschen Bühne. Schauspieler Markus Sebastian Wenger, dessen Stimme man aus diversen niederdeutschen Hörspielen beim NDR und Radio Bremen kennen könnte, war 15 Jahre lang festes Ensemblemitglied im Hamburger Ohnsorg-Theater und ist seit März 2023 fest an der Fritz-Reuter-Bühne engagiert. Nun stehen beide mit dem Zwei-Personen-Stück Sneistorm zusammen auf der Bühne und verkörpern Judith und Patrick, die durch einen Schneesturm mehr oder minder unfreiwillig miteinander auskommen müssen.

 

Ich habe gelesen, dass Peter Quilter, der das Stück Snowbound im Original geschrieben hat, West End- und Broadway-Autor ist. Bringt ihr ein bisschen Broadway an die Fritz-Reuter-Bühne?
Markus Sebastian:
Es ist immer ein bisschen Broadway dabei, wenn die Fritz-Reuter-Bühne spielt!


Der Sneistorm, der draußen wütet, zwingt zwei unterschiedliche Menschen, dazu, über einen längeren Zeitraum auf engem Raum miteinander auszukommen. Man ahnt, das ist nicht sofort harmonisch. Geht ihr Euch auf der Bühne gegenseitig an die Gurgel?
Kerstin:
Es ist geht mehr in die Richtung: auf die Nerven gehen! Und: Grenzen überschreiten.
Markus Sebastian: Genau! Patrick, den ich spiele, würde am liebsten festlegen: Das ist mein Tanzbereich. Das ist dein Tanzbereich! Und die Rolle Judith überschreitet sehr oft die Grenze. Solange – bis er sie die Grenze überschreiten lässt.

Nun sind die beiden Charaktere zwar von sehr verschiedener Natur, was sie aber eint, ist die Einsamkeit.
Markus Sebastian:
Einsamkeit ist tatsächlich der Schlüssel des Ganzen, warum sie sich treffen.
Kerstin: Genau, Einsamkeit ist die Triebfeder.

 

Einsamkeit als Thema einer Komödie, bei der man zuerst an Unterhaltung denkt. Widerspricht sich das in Euren Augen?
Kerstin:
Es ist eine Komödie, aber eine zarte. Kein Schenkelklopferstück. Eher eine zum Schmunzeln.
Markus Sebastian: Patrick lebt alleine und hat alles sehr geordnet und aufgeräumt für sich. Nicht nur visuell in seinem Haus, sondern vermeintlich auch innerlich. Der Spaßfaktor fürs Publikum beginnt damit, dass diese Ordnung zerstört wird. Dadurch, dass Judith kommt. Sie ist das totale Gegenteil zu ihm. Komplett ungeordnet…
Kerstin: … bunt, schrill, laut. Fasst alles an, wechselt ständig die Themen.
Markus Sebastian: Sie kennt keine Distanz und keine Grenze, die man nicht überschreiten könnte. Aber natürlich schlummert unter alldem auch ihre Einsamkeit.


Nun muss man sich mit den Rollen, die man spielt, nicht eins zu eins identifizieren können. Wie ging es Euch mit Judith und Patrick?
Kerstin: Ich war am Anfang genervt von dieser Figur. Ich dachte, das ist alles so übergriffig und quasselstrippig. Ich musste mich erst an sie heranarbeiten, um sie zu mögen und je länger ich mich in den Proben mit ihr befasse, desto mehr mag ich sie. Ich persönlich dachte oft: Dass so einer wie Patrick sich so lange mit einer wie Judith befasst.
Markus Sebastian: Für mich ist das Besondere, dass ich sehr viel von der Figur Patrick habe. Ich bin ein im Grunde genommen sehr geordneter Mensch, äußerlich wie auch innerlich. Aber in einem Zuhause mit zwei Jungs, 2 und 4 Jahre alt, ist Ordnung halten eine sehr große Herausforderung! Im Stück heißt die Herausforderung für mich, also für Patrick, Judith. Kaum etwas bleibt da noch an seinem vorgesehenen Platz, nicht nur im Haus!

 

Wenn du so geordnet bist, regt dich die Rolle Judith auch als Privatperson auf?
Markus Sebastian:
Überhaupt nicht. Als Vergleich: Man hat eine Verbindung und eine Liebe zu seinen Kinder. Die dürfen, glaube ich, irgendwann alles, weil man ihnen nichts krummnimmt. Und so passiert das auch für Patrick mit Judith auf der Bühne. Sie darf irgendwann alles.

 

Ist es eine Liebesgeschichte?
Markus Sebastian: Die Liebesgeschichte liegt unter dem Augenscheinlichen. Die hat der Betrachter im Kopf. Das ist ja das Spannende am Theater, dass wir nicht alles zeigen und vorgeben, sondern dass wir den Zuschauer:innen etwas suggerieren und Bilder in Köpfe projizieren. Ich glaube, wir zeigen ein Bild einer Beziehung, die vielleicht im Kopf anders ist als das, was man auf der Bühne sieht.
Kerstin: Dem stimme ich zu. Man hat das Gefühl, es ist eine Liebesgeschichte, aber diese ist nicht so offensichtlich. Also nicht: Grande finale und sie kriegen sich doch. Es bleibt noch ein kleines vielleicht übrig. Es ist eine Geschichte über das sich Näher-Kommen.

 

Apropos Nähe. Sneistorm ist ein Zwei-Personen-Stück. Ist es gerade da von Vorteil, wenn die Schauspieler:innen gut miteinander auskommen?
Markus Sebastian: Ich glaube, es ist absolut von Vorteil, wenn man sich kennt und mag. Spielen hat ja auch immer was mit Vertrauen zu tun. Ich will mich lieber von jemandem auf der Bühne geführt fallen lassen, dem ich vertraue, als von jemandem, von dem ich weiß, die Person mag ich nicht oder sie mag mich nicht.

 

Zu zweit auf der Bühne: Herausfordernder als in einem größeren Ensemble?
Kerstin: Man weiß um die Kraftstrecke, die vorgegeben ist, wenn das Stück zwei Stunden geht. Es ist schon herausfordernder zu zweit, als wenn ein Stück auf mehreren Schultern verteilt ist.
Markus Sebastian: Genau, es ist eine Kraftfrage. Also eine kleinere Rolle muss über die Länge des Stückes nicht die Kraft behalten, weil man nicht ständig auf der Bühne ist. So eine kurze Verschnaufpause hinter der Bühne hat man beim Zwei-Personen-Stück natürlich nicht. Da heißt es: Vorhang auf! Dann musst man da sein. Bis: Vorhang zu!

 

Könnt ihr dann irgendwann automatisch auch den Text des Anderen?
Beide: Ja. Ja!
Markus Sebastian: Es schleicht sich irgendwann ein, dass man die Worte kennt und dass man den Text auch mitsprechen könnte.

 

Träumt ihr auch davon? Ich meine, ihr befasst Euch so intensiv mit dem Text.
Beide: Nein! Das nicht.
Markus Sebastian:
Aber den Traum, den ein jeder Schauspieler oder eine jede Schauspielerin kennt, ist, dass man auf einer Bühne steht und spielt, aber gar keinen Text hat oder ihn nicht mehr weiß.
Kerstin:
Von einem konkreten Stück habe ich noch nie geträumt. Ich habe oft den Traum gehabt, dass ich zur Bühne muss, aber alle Türen verschlossen sind und ich meinen Auftritt verpasse.

 

Die Premiere am 15. Januar verpasst ihr ganz sicher nicht und wir lassen die Türen für das Publikum – auch wenn es schneit – natürlich nicht verschlossen.
Markus Sebastian: Ich glaube die Zuschauerinnen und Zuschauer werden zwei Stunden nicht nur was fürs Auge, sondern vor allen Dingen was fürs Herz bekommen, weil man mit diesen beiden Figuren mitfiebert. Man fiebert mit Patrick mit, der nun mal geordnet ist und da kommt jemand und bringt alles Durcheinander und man denkt so: „Oh Gott, der arme Mann!“ Und dann kommt so unvorbereitet Judith und überfordert Patrick und vielleicht auch erstmal das Publikum. Aber das dreht sich sehr schnell, da man irgendwann hofft, dass er durch sie endlich kapiert, wie es ihm tatsächlich geht. Man wird also hin und hergerissen sein zwischen: Team Patrick! Team Judith! Nee, warte… Team Patrick. Und so weiter. Am Ende ist es dann vielleicht Team „Padith“…

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