Premierengeflüster #13
In den Arbeiten von Marthe Meinhold und Marius Schötz verschwimmen die Grenzen zwischen Schauspiel, Oper und Musical; ihre Theaterabende entwickeln sie im Entstehungsprozess gemeinsam mit dem Spielensemble der Produktion. In Schwerin geht es dafür an die Schnittstelle von Abendunterhaltung und Kriminalität. Aus den Gesprächen und Recherchen der Gruppe entsteht so der Text des Stücks, der durch die Lieder von Marius Schötz zu einem Schauspielabend mit Musik ergänzt wird. Nach Arbeiten u. a. am Theater Basel, am Schauspiel Stuttgart und an den Staatstheatern in Saarbrücken und Karlsruhe ist die Uraufführung Tatort Schwerin die erste Regiearbeit des Duos am Mecklenburgischen Staatstheater.
Beim Tatort denkt vermutlich jede:r sofort an den Fernseh-Tatort. Wie viel Tatort ist im Tatort Schwerin?
Marius: Es gibt Tatort-Elemente. Es gibt auch einen kleinen Fall zu lösen. Es gibt aber auch viele Untersuchungen und Fragen, die wir an den Tatort hatten, die zu Szenen geführt haben, die sich mit dem Format beschäftigen und den Tatort selbst zu thematisieren. Ich würde sagen, es ist ein Tatort.
Seid ihr Tatort-Gucker?
Marthe: Ich bin bis jetzt keine Tatort-Guckerin gewesen. Ich habe im Zuge dieses Projekt angefangen, mir das anzuschauen. Ich bin durchaus angefixt und ich bin gespannt, ob ich das jetzt als Tradition etabliert habe.
Marius: Ich gucke es gerne. Es gibt eine lange Tradition in der Familie. Mich begeistern viele. Den Wiener mag ich, glaube ich, mit am liebsten.
Tatort Schwerin ist als offenes Projekt gestartet. Ich glaube, es gab nur den Titel, oder? Ihr arbeitet nicht zum ersten Mal mit einem offenen Konzept?
Marthe: Wir arbeiten eigentlich immer mit offenem Konzept. Wir versuchen uns mit den Häusern im Vorhinein auf ein Thema zu einigen, das direkt einen Referenzraum aufmacht, der uns und hoffentlich anderen Spaß macht und an dem man trotzdem Ergebnis offen arbeiten kann, weil wir diese Arbeitsweise vor allem gewählt haben, um Theater zu machen, in dem sich abbildet, wer da gearbeitet hat. Was in unserem Fall immer diese spezifische Gruppe von Spielenden auf der Bühne ist und alle Beteiligten an der Produktion hinter der Bühne. Wir versuchen uns immer als gemeinsam arbeitende Gemeinschaft zu diesem Thema ins Verhältnis zu setzen und dann sowohl unsere Auseinandersetzung als auch unsere spezifische Form des Zusammenseins abzubilden. Dafür ist es wichtig, dass es im Vorfeld noch keine vorgegebenen Grundlagen gibt, mit denen man anfängt, sondern sich quasi gemeinsam ins Projekt reinstürzen kann.
Das ist auch der Grund, warum Euch die Art zu arbeiten so reizt?
Marius: Wonach wir uns sehnen und was wir im Theater lieben und selber sehen wollen, das sind Menschen, die es schaffen, miteinander in Kommunikation zu treten. Die gemeinsam etwas herstellen. Dafür muss man das Chaos begrüßen, wenn ganz Viele daran rumarbeiten. Es gibt keine Entscheidung in diesem Stück, die nicht in anstrengender, ewiger Diskussion kollektiv beschlossen wurde – und das ist das, worum es uns geht. Wir suchen nach Gemeinschaft.
Trefft ihr immer auf Gegenliebe, wenn ihr mit einem offenen Konzept kommt?
Marthe: Bisher, würde ich sagen, ja. Bis jetzt haben wir immer mit tollen Gruppen gearbeitet, die nach mehr oder weniger Zeit, die man zum Reinkommen braucht, immer die Möglichkeit geschätzt haben, sich auch mit ihrer spezifischen Fähigkeit einzubringen. Bei Schauspieler:innen ist es dann ihre eigene spielerische Qualität, die auch in unserem Ensemble nicht einheitlich, sondern total plural ist.
Wie teilt ihr Euch untereinander auf? Oder gibt es eine stringente Aufteilung unter euch beiden nicht?
Marius: Wir haben sicherlich unsere Bereiche. Das hat mit unseren Ausbildungen und Interessen zu tun. Ich spiele Klavier und produziere gern mit Musikprogrammen elektronische Musik als Zuspielungen. Der theoretische Teil liegt eher in Marthes Hand. Ihre Expertise fließt in alles ein. Jede:r ist in etwas gut und trägt seinen Teil zur Produktion bei. Das ist die Kollaboration, die uns am Ende voranbringt. Gleichzeitig bleibt immer eine große Anstrengung, weil man immer zulassen muss, dass jemand anderes sagt: „Das gefällt mir aber nicht.“ Und dann muss man zulassen können zu sagen: „Gut, dann machen wir das auch nicht.“ Das kann anstrengend sein, aber es führt eben genau zu dieser Vielschichtigkeit.
Passiert es auch, dass ihr in unterschiedliche Richtungen wollt? Wie geht ihr damit um?
Marthe: Unsere Zusammenarbeit ist auf jeden Fall nichts, was schon abgeschlossen und fertig ist und auf das man immer zurückgreifen kann. Auch hier entwickeln wir uns immer weiter. Wenn wir in der Vergangenheit in Meinungsverschiedenheiten geraten sind, haben wir uns extrem viel gestritten. Teilweise haben wir versucht andere Lösungen zu finden, was in Resignation und Enttäuschung enden konnte. Auch Ego-Probleme spielen da eine Rolle. Was wichtig für uns ist, ist, dass wir uns immer wieder vergegenwärtigen, dass diese Art der Zusammenarbeit, bei der viele Meinungen vorkommen und viel von außen einbracht und zugelassen wird, auch für unsere gemeinsame Arbeit gilt.
Wie stelle ich mir die Arbeit am Tatort Schwerin vor? Ihr habt Euch mit dem Ensemble und allen Produktionsbeteiligten getroffen. Es gab den Titel – und dann?
Marius: Wir haben durch Marthes Studium der Philosophie und meinem Interesse daran, die Gewohnheit, einen theoretischen Stoff mitzubringen, der uns hilft, uns in so einer Beschäftigung auch thematisch zu vertiefen. Wir haben uns in dem Fall mit Überwachen und Strafen vom französischen Philosophen Michel Foucault beschäftigt. Damit haben wir uns mit den Spielenden auseinandergesetzt. Und über den Austausch entstehen im Gespräch kleine Ideen. Dann erzählt zum Beispiel jemand eine Geschichte oder sagt, was einem gefallen hat und dann sagt, man, das können wir doch mal wiederholen oder ausprobieren auf der Bühne, ob das Spaß macht, das zu spielen oder ob man darin etwas findet. Und so entsteht ein sehr dynamischer Prozess.
Was bei diesem dynamischen Prozess rausgekommen ist, wird ab dem 15. Februar in der M*Halle zu sehen sein. Könnt ihr schon irgendwas verraten?
Marius: Das ganze Stück beginnt an einem Tatort-Filmset. Es geht also damit los, dass wir nicht direkt reingehen in den Tatort, sondern an einem Set eingeladen sind, zuzuschauen wie eine Szene in so einem Tatort gedreht wird. Diese Szene, die da gedreht wird, ist der erste Teil, der sich mit der Genese einer Mörderin beziehungsweise eines Mordopfers beschäftigt. Es geht um eine Frau und ihr Leben in einer WG und wie der Mord Einzug hält in diese Wohngemeinschaft. Im zweiten Teil werden wir fünf Ermittelnde begleiten, die hier in Schwerin einziehen und versuchen werden, diesen Fall aufzuklären. Es ist viel mysteriöser als vielleicht im ersten Teil zu erahnen ist, denn das Opfer verschwindet.
Marthe: Das ist die Herausforderung dieser Ermittelnden. Sie stoßen an ein praktisch unlösbares Rätsel der Identität von dem Opfer – nicht mal von dem Täter – und verzweifeln an dieser absoluten Identitätslosigkeit.
Das klingt nach einer konkreten Geschichte. Also steht bei aller offenen Arbeit irgendwann das Konzept, mit dem alle Beteiligten arbeiten.
Marthe: Ein Konzept steht auf jeden Fall irgendwann fest. In dem Fall ungefähr zwei bis anderthalb Wochen vor der Premiere. Das ist nicht gerade früh. Es ist für das Ensemble und für uns wichtig, dass es irgendwann fest wird. Wir haben ja auch Spaß diesen Apparat Bühne zu bedienen und natürlich auch Lust auf Verabredungen, die Sachen mit Licht, Ton und Musik möglich machen.
Wie viel Improvisation bleibt am Ende auf der Bühne?
Marius: Das ist abhängig von den Leuten selbst. Es gibt Solche, die möchten wahnsinnig gerne etwas improvisieren. Das ist dann ein Wunsch, den wir auch versuchen zu realisieren. Viele sagen aber auch, nur improvisieren ist mir nicht genug. Es gibt Momente, die sind improvisiert, aber der Großteil hat eine sehr klare Struktur.
Der Titel Tatort Schwerin verspricht ja ein bisschen Lokalkolorit. Wie viel Schwerin ist in dem Stück?
Marthe: Aus unserer Produktion ist niemand gebürtig aus Schwerin. Wir sind alle Zugezogene. Das heißt, es ist auch ein Außenblick auf Schwerin.
Marius: Gerade deshalb haben wir uns im Vorfeld sehr mit der Stadt auseinandergesetzt. Wir haben recherchiert, wir haben uns Dokus angeguckt, auch mit den Studierenden gesprochen, wie es für sie ist, aus Rostock hierherzukommen und so versucht einen Weg und Zugang zur Stadt zu finden. Im zweiten Teil spielt der Ort auch tatsächlich eine größere Rolle. Vor allem deswegen, weil im Tatort die Stadt auch immer mit dem Fall in Verbindung steht. Also die düsteren Fälle spielen immer auch in den düsteren Städten. Da war für uns die zentrale Frage: Was für ein Fall würde denn in Schwerin spielen? Wie sich das dann mit der Frage nach der Identität verbindet, das muss man sich angucken.
Das Interview führte Claudia Kottisch.
Zurzeit sind keine Nachrichten vorhanden.